7. Der kleine Junge von Wildersbach - Über Belohnungs- und Durchhaltestrategien

Der Fleißige erhält dann von allen lautstarkes "Lob und Preis!". (Foto: M.Ihle)

„Weißt Du, was meine schönste Erinnerung an unserem Urlaub ist?“ Diese Frage stelle ich nach ein paar Tagen im Elsass meinem Liebsten. „Die Wanderung mit den herrlichen Ausblicken? Unser romantischer Abend im Restaurant? Das Münster in Straßburg...?“, schlägt er vor. „Ja, das war alles schön, aber das allerschönste war der kleine Junge im Hotel in Wildersbach, der uns die Milch beim Frühstück gebracht hat.“


Der Mann an meiner Seite grinst: „Na, das fasse ich jetzt mal als Beleidigung auf“. Tut er aber nicht wirklich, weil er den Buben ja auch gesehen hatte: Das kleine Hotel wird von einer jungen Frau geführt, die ihrem – wir schätzen: 6-jährigen - Sohn an einem Morgen offensichtlich aufgetragen hatte, sich um die Frühstücksgäste zu kümmern. Uns reichte die Kaffeemilch nicht. Wir klopften an der Küchentüre. Der kleine, freundliche Junge streckte seinen Kopf heraus, bemühte sich, mein geradebrechtes Französisch zu verstehen, nickte und verschwand. Kurze Zeit später ging die Tür auf und er trug vorsichtig ein bis an den Rand gefülltes Milchkännchen herein. Dabei lächelte er so rührend scheu, eifrig und stolz, dass mir dieser Gesichtsausdruck auch jetzt noch das Herz erwärmt. Und dann fragte er sehr besorgt und höflich, ob uns denn der Kaffee reiche.


Die Bewältigung einer „echten“ Aufgabe – und das sogar vor fremden Menschen, die zusehen, was das Kind schon kann – das zaubert diesen entzückenden Gesichtsausdruck wohl auf jedes Kindergesicht.


„Die Bewältigung einer Herausforderung trägt eine starke Belohnung in sich – und hat keine von außen nötig.“ Diesen Satz habe ich beim Hirnforscher Gerhard Roth gelesen. Diesem kleinen Jungen musste seine Mutter sicher keine Belohnung für seinen morgendlichen Küchendienst versprechen: Es reichte ihm, sich wie ein „Großer“ zu fühlen, der die fremden Gäste versorgen kann.


Wie war das bei uns, als meine Kinder noch klein waren? Staunende Hotelgäste wie wir in Wildersbach gab es für meine Kinder nicht zu bedienen. Dennoch platzten sie vor Stolz, wenn sie etwas geschafft hatten, was sie sich selber noch gar nicht richtig zugetraut hatten.

Aber was ist, wenn die Arbeit zur Routine wird und keine Herausforderung mehr darstellt? Auch langweilige Alltagsarbeiten müssen ja erledigt werden. Stolz kommt da nicht mehr auf.

Wie kann ich Kinder dazu bewegen, diese immer-wiederkehrenden Aufgaben zu erledigen, die keinem richtig Spaß machen? Die sie sich auf ihre Pläne geschrieben haben, aber zu denen sie beim dritten Mal keine Lust mehr haben?


Ich frage meine Freundin Karola wieder um Rat: „Wie machst Du das, dass sich deine Kinder an ihre Pläne auch halten?“ „Das Prinzip scheinst Du immer noch nicht kapiert zu haben!“ Weil wir uns schon lange kennen, darf sie manchmal so direkt zu mir sein. Ich schaue sie fragend an. „Besprich es mit den Kindern! Sie werden schon Ideen haben. Wenn sie sich das Belohnungssystem selbst ausgedacht haben, wird es auch funktionieren.“ Dann gibt sie mir noch einen Rat ihrer Familientherapeutin weiter: „Fernseh- oder PC-Zeiten und Geld sind keine so gute Belohnung! Gemeinsam verbrachte Zeit mit irgendetwas, was sich die Kinder wünschen, ist viel besser.“ „Was könnte das denn sein?“, frage ich. „Wenn Jule und Lukas am Ende der Woche alles erledigt haben, was sie sich auf ihre Pläne geschrieben haben, dann gehen wir am Sonntag alle zusammen Eis-Essen. Das haben sie sich so gewünscht.“


Meine Kinder einigten sich schnell darauf, dass wir am Ende einer „erfolgreichen“ Woche als Familie einen Spieleabend machen, bei dem sie die Spiele bestimmen konnten.

Die Belohnungszeiträume wurden mit dem Größer-Werden immer länger. Und auch die Vorschläge, wie sie belohnt werden wollten, veränderten sich.


Eines hat sich bis heute bewährt: Auch wenn wir im Alltag keine staunenden Hotelgäste hatten, gab es stolze Gesichter durch unsere Vereinbarung, dass sich die ganze Familie das Ergebnis anschaut, wenn einer seine Arbeit erledigt hat. Das ist noch wichtiger als die vereinbarte Belohnung. Gerade bei den unangenehmeren Arbeiten! Der Fleißige erhält dann von allen lautstarkes "Lob und Preis!". Auch wenn die Familie dabei kichert, gefällt es mir selbst natürlich auch, wenn sie vielstimmig durchs Haus ruft: „Wir loben und preisen die Mama! Sie hat die Klos so schön geputzt!”

Beate Allmenröder