6. Bettbezug-Gespensterchen - spielend arbeiten

An einem trüben Wintertag will ich eigentlich nur kurz bei Karola, meiner Freundin, vorbei schauen: als sie mir die Türe öffnet, höre ich Lärm aus dem Kinderzimmer. „Oh, ich glaube, ich störe. Ich komme ein andermal“. „Nein, du störst gar nicht“, zieht sie mich in die Wohnung, „Komm, wir trinken einen Kaffee.“ „Aber ich glaube, deine Kids brauchen dich – hört sich so an.“ „Nein, die beziehen ihre Betten, die sind gut beschäftigt. Sie haben Spaß und brauchen mich gerade gar nicht.“

Nach Betten-Beziehen sieht das nicht gerade aus...

(Foto: M. Ihle)


Während der Kaffee durchläuft, luge ich ins Kinderzimmer: Da ist ein wildes Getobe: Der 6-jährige Lukas und die 7-jährige Jule spielen „Purzelbaum mit Anlauf“. Nach Bettenbeziehen sieht das nicht gerade aus.

 

Wir setzen uns mit unserem Kaffee ins Wohnzimmer und können in der Tat eine ganze Zeitlang ungestört reden. Dann geht auf einmal die Türe auf und zwei „Gespensterchen“ poltern herein. Die Kinder haben sich die großen Bettbezüge über die Köpfe gezogen, sehen nicht allzu viel und stoßen überall an. „Husch, ihr Gespenster, zurück ins Kinderzimmer“, reagiert ihre Mutter schnell. „Ihr sollt mal kommen und schauen, wie gut wir den Rückwärtspurzelbaum können“, nuschelt es durch die Bettbezüge. Na, das wollen wir sehen. Liest man doch jede zweite Woche in der Zeitung von irgendeiner Studie, dass Kinder immer unbeweglicher würden und im Grundschulalter keine Purzelbäume mehr machen könnten. Die Kinder schlüpfen aus den Bezügen und verwandeln sich in geschickte Turnkinder: Wir bekommen nicht nur den Purzelbaum-Gegenbeweis zu sehen, sondern gleich eine ganze Turnvorführung. Weitsprung aus dem Bett heraus, Bauchplatscher-Weitsprung ins Bett hinein… - lauter kleine, selbst erdachte Übungen, die in der Tat einiges Geschick erfordern. „Und jetzt kommt’s erst“, schreit Lukas, „jetzt machen wir das alles noch mal als Gespenst“. Blindturnen sozusagen. Auch das bekommen sie erstaunlich gut hin.

 

Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer frage ich meine Freundin: „Das nennst du Bettenbeziehen? Unter hausfraulichem Aspekt ist das allenfalls Staubaufwirbeln. Die sind ja wohl eh noch ein bisschen zu klein, um ihre Betten zu beziehen.“ „Letztes Mal hat’s geklappt“, sagt sie. Tatsächlich ändert sich auf einmal die Geräusche-Lage, die aus dem Kinderzimmer zu uns dringt. Es ist nicht mehr so viel lustiges Gequietsche zu hören, sondern jetzt streiten sie: „Du musst auch richtig festhalten!“ „Nein, du hast die falsche Ecke genommen.“ So geht es eine Weile hin und her. Dann hören wir kaum noch etwas, bis schließlich - dieses Mal zwei Kinder statt zweier Gespenster - herangestürmt kommen: „Fertig! Betten sind gemacht! Wir haben die Bettwäsche zur Waschmaschine gebracht. Ihr sollt mal schauen.“ Da bin ich jetzt echt gespannt, wie sie das mit ihren kurzen Armen hinbekommen haben: Keine Frage, das sieht nach frisch bezogenen Betten aus. Auch wenn man sicher das Bettdecke-Glattziehen noch perfektionieren könnte. Karola lobt sie ausführlich – und angesichts meines ehrlichen Erstaunens sind sie noch stolzer, dass sie das so gut gemacht haben.

 

Mein kurzer Besuch zieht sich nun doch in die Länge, weil ich zu dieser Aktion noch einige Fragen habe: Nach der Hygiene, nach der Altersgemäßheit und auch die „Staubfrage“ beschäftigt mich noch weiter. Karola antwortet sofort: „Weißt du, das bisschen Staub ist mir ziemlich egal, angesichts der Tatsache, dass meine Kinder heute ihr motorisches Geschick intensiv trainiert haben, dass sie sich an einem solchen Tag, an dem man nicht nach draußen kann, ordentlich ausgetobt haben, dass sie wichtige Schlüsselqualifikationen wie zum Beispiel Teamfähigkeit eingeübt haben, dass sie Kreativität entfaltet haben...“ „Hey, hör auf“ unterbreche ich ihre Aufzählung. „Hast du das auswendig gelernt?“ Jetzt wird Karola auf einmal nachdenklich: „Nee, auswendig nicht gerade. Aber ich habe es mir schon oft überlegt, weil du ja nicht die erste bist, die fragt, ob die Kinder nicht noch zu klein für so eine Arbeit sind. Aber du siehst doch, dass sie es hinbekommen! Dass es ihnen sogar Spaß macht und wie stolz sie sind!“

 

Beim Heimgehen erscheint mir der trübe Wintertag gleich viel heller, als ich mir ausmale, was meine Kinder wohl alles noch so nebenbei lernen werden, wenn ich ihnen auch das Bettenbeziehen beibringe.

Beate Allmenröder